Service Excellence in Venedig
Seit einem Monat bin ich nach meiner eindrücklichen, mehrmonatigen Reise durch Indochina wieder in der Schweiz. Die Lust am Reisen bleibt und muss gepflegt werden. Wieso nicht auf einer Reise mit dem Auto durch Norditalien? Es muss ja nicht immer eine Weltreise sein…
So haben meine Freunde und ich eine einwöchige Reise geplant, die als einen der Höhepunkte den Besuch von Venedig vorsah. Venedig ist eine der Städte, die man immer wieder neu erleben muss. Für mich nicht zuletzt auch, weil der Geburtsort meiner Mutter keine 100 Kilometer davon entfernt liegt – „back to the roots“ sozusagen.
Vieles mag in Italien nicht funktionieren. Dies gilt nicht für die öffentlichen Verkehrsmittel und die logistische Leistungen in Venedig. Alles läuft wie am Schnürchen, effizient und eingespielt. Das muss ja auch so sein, bei 25 Millionen Besuchern pro Jahr (wobei 85% davon Tagestouristen sind!). Wir sprechen von ca. 100’000 Touristen pro Tag, in der Karnevalszeit gar ca. 130’000. Und eben diese Tagesbesucher prägen das Bild und schüren die Vorurteile.
Die Invasion beginnt jeweils am späteren Vormittag. Chinesen, Inder, Japaner aber auch Franzosen, Deutsche, Österreicher, Schweizer und Amerikaner (die es wohl als eine Frechheit empfinden, dass die Italiener so unverfroren sind, die Hotelanlage des Venetian Las Vegas nachzubauen…).
Da aber lediglich rund 15’000 Besucher auch die Nacht in Venedig verbringen, gehört die Lagunenstadt am frühen Vormittag und am Abend ihnen und den Einheimischen. Dann entfaltet Venedig seinen ganzen Charme, die Calles und Campi sind nicht überfüllt. Man kann sich in Ruhe der einmaligen Stimmung hingeben.
Überall zu sehen: Venezianische Masken
Wir spazierten also nach dem Nachtessen in einer kleinen Trattoria durch die verregneten, leeren Gassen. Wir suchten ein Plätzchen, um in Ruhe eine schöne Zigarre zu geniessen. Beim Bestaunen der einmaligen Architektur fiel uns auf, dass die Dachterrasse des Hotels La Commedia beleuchtet war – trotz Regen ein idealer Ort für den krönenden Abschluss des Abends.
Wir traten ins Hotel ein und erspähten an der Bar Gianpaolo, den verantwortlichen Barman. Wir fragten ihn, ob wir einen Drink auf der Dachterrasse geniessen dürften. Er verneinte und meinte, bei diesem Wetter sei die Terrassenbar geschlossen und bot uns stattdessen einen Platz an seiner Bar an. Wir erklärten ihm, dass es uns um den Genuss einer Zigarre ginge und dies ja an der Bar nicht erlaubt sei.
Nach kurzem Nachdenken bat Gianpaolo uns, ihm zu folgen. Er begleitete uns zu unserer Überraschung doch in den sechsten Stock zur Dachterrasse. Und dann ging es los: Er schob Tische zur Seite und bereitete uns einen Tisch an einer geschützten Stelle vor. Zudem stellte er – da der Regen wieder einsetzte – mit einigem Aufwand und körperlichem Einsatz einen grossen Sonnenschirm zum Schutz auf.
Carlos I, ein Ristretto und etwas zum Knabbern
Bei der anschliessenden Bestellung entschieden wir uns für einen Ristretto und einen Carlos I (ich weiss, in Italien sollte man den Grappa geniessen aber der Carlos passt einfach besser zu einer guten kubanischen Zigarre). Gianpaolo eilte davon und erschien wenig später mit den bestellten Getränken. Dazu servierte er uns mehrere Schalen mit verschiedenen Nüssen und Guetzli. Stil- und liebevoll bereitete er die schönen, bauchigen Gläser für den Carlos I vor, bevor er den edlen Brandy einschenkte. Entschleunigung im besten Sinne.
Dann überliess er uns noch ein internes Telefongerät, mit welchem wir ihn für weitere Bestellungen erreichen konnten… perfekt. Trotz Regen genossen wir diesen wirklich einmaligen Augenblick auf der schönen Terrasse mit Blick auf den beleuchteten Kirchenturm von San Marco. Wahrlich ein „perfect moment“!
Nach einer guten Stunde bezahlten wir (natürlich bekam Gianpaolo ein mehr als verdientes Trinkgeld) und bedankten uns bei Gianpaolo für die Flexibilität, für seine spontane Hilfsbereitschaft, die uns ein unvergessliches Erlebnis beschert hatte.
Gegen Abend leeren sich in Venedig die Gassen
Venedig geniesst ja nicht unbedingt den Ruf, besonders servicebewusst auf die Gäste einzugehen. Bei dieser täglichen Masseninvasion kein Wunder, nicht zuletzt auch, weil die Gaststätten und Bars nicht unbedingt auf ein Wiederkommen der Gäste aus sind. Sogenannte „Repeaters“ sind in Venedig eine Seltenheit. Umso schöner, dass Gianpaolo uns eindrücklich eines Besseren belehrt hat und wieder einmal ein Vorurteil als solches entlarvt hat.
Ein Profi, der seine Tätigkeit mit Passion ausübt, bleibt ein Profi und ist immer seinem Verständnis des Jobs verpflichtet. Ob in einen kleinen, von Besuchern selten aufgesuchten Ort oder im überrannten Venedig. So könnten sich auch einige Zürcher Gastronomen ein gutes Beispiel nehmen, wie man Gäste als solche behandelt!
Noch nicht genug von Venedig? Weitere Reisetipps zur Lagunenstadt erhaltet ihr im Blogbeitrag von Sophie.
4 responses to Service Excellence in Venedig
so nett, wie du schreibst, gianni. und wenn man so anständig, freundlich und stilvoll die bedürfnisse mitteilt, kommt man garantiert auf einen grüneren zweig. und auch schön, gibt’s immer noch gianpaolos.
„Ein Profi, der seine Tätigkeit mit Passion ausübt, bleibt ein Profi und ist immer seinem Verständnis des Jobs verpflichtet.“ – dass gerade Dir das auffällt und Du das schreibst – kein Wunder 🙂 so habe ich Dich kennengelernt…
ich mag Deine Zeilen, grazie
wir gingen jahrelang maskiert an den Carnevale in Venedig und ich habe Venedig auch ganz ähnlich erlebt und gehe immer wieder gerne zurück,.
Venedig ist traumhaft. Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich da war, aber es sind immer noch mitunter meine schönsten Urlaubserinnerungen.
Lg aus dem Passeiertal