Kloster Wennigsen – Eine Reise zu mir
Der Nacken ist verspannt, die Gedanken im Kopf fahren Karussell: Habe ich die Deadline eingehalten? Ist der Text fertig? Muss ich den Kunden noch zurückrufen? Vor dem Schlafengehen gehe ich die Pendenzenliste für den nächsten Tag im Kopf durch. Wer kennt das nicht? Dem täglichen Hamsterrad entfliehen, raus aus dem stressigen Alltag, aber wie? Wenn auch Sport und Wellness nicht mehr helfen den Kopf frei zu bekommen, was dann? Diese Fragen habe ich mir – natürlich ganz unabhängig von meiner eigenen Person 🙂 – gestellt und begonnen zu recherchieren.
Dabei bin ich unter anderem auf das Kloster Wennigsen in der Nähe von Hannover gestossen und habe mich für eine Gastschaft im Kloster entschieden. Gut, kein Katzensprung von Zürich aus, aber eine willkommene Strecke. Entschleunigt doch allein schon die siebenstündige Bahnfahrt, die übrigens wie im Flug vergeht. Mit jedem zurückgelegten Kilometer verschwinden die grübelnden Gedanken ein wenig mehr.
Spartanisch, aber gemütlich
Von Hannover mache ich noch einmal eine rund 25minütige Fahrt mit der S-Bahn, bis ich schliesslich am Bahnhof des kleinen Ortes lande. Diese räumliche Distanz ist wichtig und gut. Taxi am Bahnhof? Fehlanzeige. Also frage ich mich durch und laufe mit meinem Koffer, der sich auf dem Weg wie ein Rollpanzer anhört und die Idylle zu stören scheint, gen Kloster.
Der erste Eindruck ist sehr positiv, als ich vor dem grossen Toreingang des über 800 Jahre alten Gemäuers stehe. Drinnen begrüsst man mich nordisch freundlich und zeigt mir mein Zimmer. Spartanisch, aber gemütlich und alles was ich für die nächsten Tage brauche: Bett, Stuhl, Schreibtisch, Schrank und mein Highlight – eine Chaiselongue. Das Bett beziehe ich selbst. Das Bad teile ich mir mit einer Zimmernachbarin.
Früher waren dies jeweils die Ein-Zimmer-Wohnungen der Konventinnen mit Bad und Küche. Heute leben nur noch zwei von ihnen dauerhaft in dem evangelischen Frauenkloster. Eine Gemeinschaftsküche steht zur Verfügung, wo ich mich selbst versorgen werde. Also erst einmal wieder raus und den Ort erkunden: Ein Bioladen, eine Drogerie – reicht mir fürs erste, um mich mit Lebensmitteln einzudecken. Abends drehe ich die Heizungen meines Zimmers voll auf, denn das alte Gemäuer ist kalt, wie auch die langen Gänge. Gut, dass ich meine Wärmflasche mitgenommen habe.
Lesen und Spazieren
Am nächsten Tag erhalte ich von Konventin Mirja Müller eine kurze Klosterführung. Eine kleine Bibliothek steht zur Verfügung, ebenso wie ein Meditationsraum, den man auch alleine nutzen kann. Morgens um 8 und abends um 18 Uhr wird jeweils eine Meditation bzw. Abendandacht mit der Hausgruppe angeboten. Doch darauf verzichte ich, denn am nächsten Tag habe ich ein Meditationsseminar gebucht.
So verbringe ich den Rest des Tages mit Lesen (ich werde am Ende dieser Reise vier Bücher in vier Tagen gelesen haben), Spazieren gehen im nahegelegenen Erholungsgebiet des Deister und der Erkundung des örtlichen Cafés – wie in einer Zeitkapsel glaube ich mich in die 60er Jahre versetzt zu fühlen: dunkelgrüner Samtbezug auf dunklem Holz, schummrige kleine Lampen und eine putzfidele Truppe älterer Damen, die ein Kaffeekränzchen hält. Man kennt sich; auch die Bedienung mit Namen.
Mein Handy bleibt im Kloster Wennigsen stumm
Ich komme mir ein wenig fremd vor, widme mich aber dem grandiosen Streuselkuchen und lausche gespannt den Gesprächen um mich herum. Herrlich, besser als Theater! Das Handy bleibt – bis auf ein zwei SMS für meinen Mann – aus. Kein Fernsehen, kein Radio, gar nichts. So hatte ich mir das vorgestellt. Beim Abendbrot trifft man auf Gleichgesinnte in der Küche und tauscht sich aus – oder eben auch nicht. Es besteht kein Redezwang, was wunderbar ist. Die wenigen Frauen, die ich treffe, sind bereits zum zweiten oder dritten Mal in Wennigsen, was sehr für die Einrichtung spricht.
Samstag um 10 Uhr freue mich auf den sogenannten Klostertag unter dem Motto: Von guten Mächten wunderbar geborgen. Hier können auch externe Kursteilnehmer dabei sein. Der Kurs verspricht: „Wenn wir im Alltag Möglichkeiten der Stille schaffen, geben wir anderen Kräften Raum zum Wirken.
Unsere Sinne öffnen sich für das Leise, Verborgene in und um uns, was sonst vom Lärm des Alltags überdeckt wird. Ein Tag in Schweigen, unterstützt durch stilles Sitzen, meditatives Gehen, Körperwahrnehmungs-übungen und Tanz – klingt furchtbar esoterisch, ich weiss. Aber es ist grandios.
Ich hätte nicht gedacht, dass Maren Kujawa, die Kursleiterin, mich mit so wenigen Anleitungen dazu bringen kann, zu mir zu kommen. Denn Erfahrungen in dem Bereich hatte ich vorher nicht. Das Herzensgebet (Via Cordis) wird von den Nonnen zur spirituellen und persönlichen Selbsterfahrung angewendet. Auch das Sitzen hatte ich mir anstrengender vorgestellt, aber relativ schnell habe ich das Zeitgefühl verloren und bin erstaunt, wenn die einzelnen „Sitz-Sessions“ wieder vorbei sind. Die Gruppe ist recht durchmischt, doch ich bin wohl die Jüngste. Die Beweggründe sind aber bei fast allen die gleichen: Runterkommen, ankommen, Kraft schöpfen.
Eine tolle Erfahrung
Bereits zum Mittagessen, das wir gemeinsam in Schweigen zu uns nehmen, fühle ich mich viel geerdeter als noch am Morgen. Und ich bin so wohlig müde, dass ich in der Pause auf mein Zimmer gehe und ein Nickerchen mache. Sonst undenkbar! Am Ende des Tages hat sich dieses Gefühl gefestigt. Eine tolle Erfahrung, die ich nur jedem empfehlen kann und die ich im Sommer, wenn der Obstgarten des Klosters Früchte trägt, sicher wiederholen werde. Diese Erfahrung in den Alltag zu übertragen fällt mir persönlich jedoch nicht so einfach. Doch ich weiss jetzt, wie es geht und dass ich es kann – die besten Voraussetzungen.
Kosten: 29 EUR pro Nacht mit Selbstverpflegung
Kurs mit Verpflegung: 38 EUR
Weitere Informationen unter: www.kloster-wennigsen.de