Mit dem Zug nach Wales
Am westlichen Rand der Britischen Insel liegt Wales, eine Region, die es noch zu entdecken gilt.
Wales, ich gestehe es, sagte mir erst mal nicht viel. Der Fürst von Wales, ja: So nennt sich jeweils der Anwärter auf den britischen Thron. Aber sonst?
Wales, lese ich, ist ziemlich genau halb so gross wie die Schweiz. Und an der Stelle ein kurzer geschichtlichen Exkurs: Bevor es von England einverleibt wurde, war Wales eine Ansammlung kleiner Königreiche und Fürstentümer. Teile von Wales wurden schon im 11. bis 13. Jahrhundert dem englischen Recht unterstellt. 1284 wurde ganz Wales von England erobert und im 16. Jahrhundert definitiv annektiert.
Trotzdem verläuft bis heute eine unsichtbare Grenze durch die Region: Gebiete vor allem im Süden von Wales, die anglisiert sind, und Gebiete vor allem im Nordwesten, wo noch die walisische Sprache und Kultur vorherrschen.
Wales zählt, zusammen mit Schottland, der Irischen Insel, der Insel Man, der englischen Region Cornwall und der französischen Bretagne, zu den sechs keltischen Nationen, das heisst den Regionen, in welcher keltische Sprachen und Lebensarten noch gepflegt werden. Das erklärt den unbeugsamen Willen der Waliser, sich von den Engländern abzuheben.
Traumhotel im 800-jährigen Schloss
Auf dieser unsichtbaren Grenze steht eines meiner neuen Lieblingshotels, das Roch Castle. Das Schloss hat eine mehr als 800-jährige Geschichte zu bieten. 2008 wurde es von einer Stiftung erworben, die der walisische, meist in Hong Kong lebende Architekt Keith Griffiths (70) gegründet hat.
Die Griffiths-Roch-Stiftung hat zum Ziel, historische Gebäude in Wales zu erwerben und zu erhalten. Das ist mit dem Roch Castle perfekt gelungen. Das Schloss thront auf einem Felsen und bietet eine prachtvolle Rundumsicht auf die grüne Landschaft und den Pembrokeshire-Coast-Nationalpark. Mit sechs Zimmern dürfte Roch Castle eines der kleinsten Fünfsterne-Hotels auf den Britischen Inseln sein, aber diese sind elegant, behaglich und sehr gut ausgestattet. Zudem sind im Schloss Werke von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern ausgestellt.
Zug statt Flug nach London
Nach Roch Castle sind wir im Mietwagen angereist, den wir in London übernommen haben. Dies, nachdem wir im Zug auf der Insel angekommen sind. Genau – es muss nicht immer im Flieger sein.
Umso mehr, wenn man Roadtrip-Fan ist wie ich. Dank sorgfältiger Planung kann man nämlich in nur acht Stunden von Zürich HB bis London Saint Pancras reisen. Von London aus sind es rund zweieinhalb Autostunden bis Cardiff, die walisische Hauptstadt.
Cardiff ist eine Mischung von Tradition und Moderne. Ein Highlight für Städtebummler sind die sechs historischen Arkaden. Hier schlendern wir an Antiquitätenläden, Juweliergeschäften und Kleiderboutiquen vorbei, an Läden für Vintage-Kleidung, für Brettspiele oder beim ältesten Schallplattenladen der Welt, Spillers Record, der sich in der viktorianischen Morgan Arcade befindet.
Tradition und Moderne in Cardiff
Wenige Schritte von den Arkaden entfernt, im Bute Park, steht unübersehbar das Schloss Cardiff. Es ist ein Sammelsurium diverser Epochen vom mittelalterlichen Bergfried bis zu den neugotischen Wohnungen aus dem 19. Jahrhundert. Einst residierte eine einflussreiche Familie im Schloss, die massgeblich daran beteiligt war, Cardiff zu einem wichtigen Industriehafen auszubauen. Das Hafengebiet verlor zwischenzeitlich an Bedeutung und zerfiel.
In den 1980er-Jahren kam der Aufschwung. Man baute ein mächtiges Stauwehr, hinter dem sich ein Süsswassersee bildete. An dessen Ufern ist ein neues Stadtquartier mit Wohnhäusern und vielen Cafés, Bars und Restaurants entstanden. Auch die walisische Nationalversammlung hat hier ihren Sitz. Das Parlamentsgebäude, entworfen vom britischen Stararchitekten Richard Rodgers und 2006 eingeweiht, fällt durch ein riesiges, weit vorkragendes Dach auf.
Natürlich darf in Cardiff auch eine Food Tour nicht fehlen. Seafood gibt es im Überfluss, aber etwas ist mir besonders aufgefallen: das Laverbread. Eine essbare Seegrasart wird an den felsigen walisischen Küsten geerntet und stundenlang gekocht, bis sie zu einer gallertartigen Paste wird – die Geschmäcker sind definitiv verschieden…
«Herausragende natürliche Schönheit»
Von Cardiff fahren wir im Mietwagen rund 80 km westlich, über die Grossstadt Swansea hinaus, auf die Halbinsel Gower. Sie wurde 1956 als erster Ort in ganz Grossbritannien zum Gebiet von «herausragender natürlicher Schönheit» erklärt. Zu Recht: Wenn irgendwo der Ausdruck «Paradies» angebracht wäre, dann für diese Halbinsel mit ihren Wäldern, Klippen und glitzernden Stränden. Wanderer, Surfer, Sonnenhungrige und Vogelbeobachter lieben die Region.
Wahrzeichen von Gower ist der Worm’s Head oder Seeschlangenkopf. Die felsige Landzunge schlängelt sich in die Bucht von Rhossili hinein. An sonnigen Tagen zum Felsen hinauszuwandern ist ein grossartiges Erlebnis, aber immer mit einem Hauch von Abenteuer verbunden: Die Wanderung ist nur während der Ebbe möglich, und wer nicht rechtzeitig zurückkehrt, strandet auf dem Felsen …
Knapp 60 km nördlich der Halbinsel Gower besuchen wir den prachtvollen Park von Aberglasney. Wieder werden wir in der Zeit zurückversetzt: Herzstück der Parkanlage ist ein wiederhergestellter Garten aus der Elisabethanischen Zeit vor rund 400 Jahren. Daneben können wir mehr als 20 verschiedene Gartenstile erkunden, von formellen Anlagen über Waldgärten bis hin zu exotischen und modernen Gärten. Das denkmalgeschützte 500-jährige Herrenhaus, das einst nur noch eine traurige Ruine war, erstrahlt in neuem Glanz und bietet einen prächtigen Rahmen für Events und Ausstellungen.
Die kleinste Stadt im Königreich
Nach einem englischen Frühstück im eingangs erwähnten Roch Castle fahren wir eine kurze Strecke zum äussersten westlichen Zipfel von Wales. Dort besuchen wir St Davids, mit rund 1750 Einwohnern offiziell die kleinste Stadt im Vereinigten Königreich, die sich sogleich als weiterer Höhepunkt entpuppt und wo das Wörtchen «malerisch» stark untertrieben ist. Rund zweihundert denkmalgeschützte Gebäude gibt es hier und dazu eine prachtvolle Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert, bei deren Anblick es einem fast die Sprache verschlägt.
Von St Davids fahren wir mit einem Schiff rund um die vorgelagerte Insel Ramsey, ein Naturreservat mit gewaltigen, bis zu 120 Meter hohen Klippen, die brütenden Seevögeln, Dohlenschwärmen, Wanderfalken und Robben einen perfekten Lebensraum bieten. In einem weissen Farmhaus leben exakt zwei Einwohner: der Inselwärter und sein Assistent.
Trunken von all diesen Eindrücken nehmen wir bald wehmütig Abschied und fahren – passender könnte es kaum sein – nach Penderyn in die Destillery, die einen preisgekrönten Single Malt Whiskey braut.
Nach dessen, selbstverständlich massvoller Degustation, fahren wir quer durch einen weiteren Nationalpark nach Hay-on-Wye, einem Städtchen an der Grenze zu England. Hay-on-Wye nennt sich seit 1961 «Bücherdorf». Damals eröffnete der Buchhändler Richard Booth mit Containerladungen von Büchern, die er von bankrotten amerikanischen Buchhändlern aufgekauft hatte, einen Bücherladen. Heute gibt es hier 40 Antiquariate, was Bibliophile aus der ganzen Welt anlockt. Booth war ein genialer Verkäufer und machte international Schlagzeilen, als er am 1. April 1977 Hay zum unabhängigen Königreich ausrief und sich selbst zum König ernannte. Die echte Königin, Elizabeth II, scheint es ihm nicht verübelt zu haben: Sie verlieht ihm 2004 den Most Excellent Order of the British Empire MBE.
Ich meinerseits ernenne Wales zu einer meiner neuen Lieblingsdestinationen und komme wieder – dann aber länger.
Weitere, nützliche Tipps für die Reiseplanung nach Wales
- Reiseveranstalter: Das umfassendste Programm für Grossbritannien und Irland sowie die Kanalinseln führt Rolf Meier Reisen in Neuhausen am Rheinfall. www.rolfmeierreisen.ch
- Eurostar: Täglich vielfache Verbindungen zwischen Paris und London. Diverse Klassen von Standard bis Premium. www.eurostar.com
- TGV Lyria: Täglich mehrere Verbindungen zwischen Zürich/Basel SBB und Paris Gare de Lyon sowie ab Genf und ab Lausanne. www.tgv-lyria.com
- Allgemeine Informationen: www.visitwales.com
Diese Reise wurde unterstützt von Rolf Meier Reisen, einem Kunden von PrimCom.